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Montag, 8. Juni 2015

Georgien zwischen 10 und 34 Grad








Das Einführen von Rohgold nach Georgien ist nicht erlaubt.





Am georgischen Grenzübergang  läuft es wie erwartet. Die Zöllner sind nice, verlangen aber mit bestimmter Miene, dass ich ihnen den Wohnwagen öffne. Nicht, weil sie irgendwelche heisse Ware darin vermuten, sondern einfach, weil sie hineinschauen möchten. Die herumstehenden Kollegen werden hinzugerufen. Am meisten beeindruckt sind sie immer vom „Badzimmer“ mit Dusche. Wer hat`s noch nicht gesehen – wer möchte noch? Daumen nach oben – super! Ist ja alles auch zehnmal mehr „schöner wohnen“ als die elenden Räume, die ihnen als Büros dienen. Gerade werden aber neue Stühle angeliefert. Neue alte. Bürostühle, die ganz sind, mit allen Rädli dran, ohne Risse im Polster, ohne hervorquellenden Schaumstoff. Auf dem Armaturenbrett im Auto entdeckt dann aber einer etwas, das ich sicher nicht über die Grenze nehmen dürfe. Er nimmt den baumnussgrossen Klumpen in die Hand, schaut mich ernsthaft an und fragt: „Gold?“ Ich erkläre ihm, dass es sich um einen kupferhaltigen Stein handelt, den ich 20 km vorher im Abbaugebiet von einem Jungen geschenkt bekam. Lustig. Ich könnte problemlos Drogen oder Menschen oder halbe Klöster versteckt über die Grenze transportieren und bekäme nur das Daumen-hoch-Kompliment für die Wohnwageneinrichtung, aber an diesem wertlosen Stein soll nun doch das Exempel dafür statuiert werden, was sie drauf haben. Meine Sprachkenntnisse reichen nicht für den Tipp „Geht doch mal ins Nachbarland und füllt euren Lada randvoll mit Gold, das euch die Kinder dort schenken!“. 
Georgien war das Südparadies der Sowjetunion. Mit Wein und Palmen. (Neben 5000-ern und Skigebieten.) Kurz nach der Grenze suhlen sich zwei junge Männer am Strassenrand. Zwar ohne Wein und nicht unter Palmen, aber es wird gesuhlt. Vor ihnen sind kitschfarbene Prinzessinnen und Lämmchen aus Gips zum Kauf aufgestellt. Natürlich sind sie nicht die einzigen, die dies auf den nächsten Kilometern anbieten. Der Produzent scheint immer derselbe zu sein.


Das war die Gipsfiguren-Strecke. Was habe ich schon für Strassenverkaufs-Strecken erlebt? – Die Erdbeeren-Strecke, die Bananen-Strecke, die Fisch-Strecke, die Besen-Strecke, die Käse-Strecke, Gemüse- und Früchte-Strecken, Alkohol-Strecken, die Pilz-Strecke, die Irgendwelche-Saftwurzeln-Strecke, die Maiskolbenbrat-Strecke, die Autofelgen-Strecke, was eben grad so wächst in der Gegend. Und die Konkurrenz steht sich auf den Füssen, beziehungsweise hockt zehn Meter weiter hinter einem wackeligen Holzgestell.

Und dann kommt great Tiflis. Tbilisi. Längs wie eine Arschfalte zwischen zwei Hügelbacken eingeklemmt. Oben auf einer Backe im Grünen gibt`s einen kleinen See. (Tbilisi grüsst St.Gallen!) Meine erste Bleibe ist aber die Rückseite des GrandHotel in der Nähe des Flughafens, wo ich am nächsten Tag Peter abholen darf. Hier werde ich im sonst leeren Bankettsaal von ein paar Männern an ihren Tisch eingeladen. „Georgia good, Switzerland good, njet problem, drink, gaumarjos!“ Das Auffallende an der feuchtfröhlichen Runde ist die Art der Gespräche. Eine Person erzählt ausführlich eine Geschichte, und die andern hören aufmerksam zu und unterbrechen nicht, lachen höchstens mal dazwischen, nichts von Fass-dich-kurz oder Was-willst-du-sagen, man geniesst die Erzählung, und wenn der Erzähler fertig ist, hebt er das Glas, und es wird ebenso ausführlich zugeprostet. Auch ich geniesse es, auch wenn ich kein Wort verstehe, geniesse diese Kultur.




Der nächste Wohnort wird der kleine See. Ein Erholungsort mit ein paar Restaurants. Ruhig und beschaulich, inklusive Aussicht auf Tbilisi hinunter. Aber gegen Abend geht`s los: Sound von überall her, Lautstärke voll aufgedreht, Autos kommen und gehen, Familien, Pensionäre, schigge und freakige Junge, Gegröhle und Gejohle, bis am Morgen die ersten Jogger den letzten Leichen der Techno-Party einen erholsamen Schlaf wünschen. Ein gigantischer Bombenmix, no rules and regulations, wir holen in einer Nacht nach, was unseren Eltern und Grosseltern verwehrt blieb.


Endlich ist es mal richtig warm, über 30°, und auch der Gewitterregen ist gigantisch. Die eigentliche Stadt scheint interessant zu sein, dichter Verkehr drängt sich durch Altes und Hochmodernes, von Cognac (auch hier sehr gut) bis Kokain ist alles zu haben, aber die Schweizer Herren möchten sich nicht so recht auf sie einlassen.

Landflucht! Bergflucht. Ohne Wegweiser durch die Stadt Richtung Norden, Richtung russische Grenze, die zwischen den 5`000-ern liegt. Ortschaften, die diesen Namen verdienen, gibt es kaum. Als die Strasse dann wirklich schlecht wird, beginnt es heftig zu regnen, so dass für die entgegenkommenden ukrainischen, russischen, georgischen, azerischen und armenischen Lastwagen auch das Abwärtsfahren nur noch im Schritttempo geht. Zwischen Strasse und reissendem Fluss taucht ein Hotel auf und wir halten an davor. Wenn der Regen dann zwei Stufen zurückschaltet, möchten wir aussteigen. Doch schon kommt eine junge Frau mit freundlich offenem Gesicht und einem auch offenen Schirm heran und fragt in gutem Englisch, ob sie etwas tun oder helfen könne. Klar kann sie. „Habt ihr einen Fernsehapparat, und ist es möglich um elf Uhr den Championsleague-Final zu schauen?“ Als der Regen nachlässt, bewegt sich eine riesige Schafherde die Strasse herauf. Schön, wie die Autos jetzt nicht mehr im Dreck, sondern in den Schafen schwimmen. Und schön, wie die hupenden Machos in ihren Karossen keine Chance haben gegen die Hunderten von Schafen. Relax, Wassili!



Alina setzt sich durch gegen den Chef, der genau dann schliessen möchte, wenn das Spiel angepfiffen wird. Warum sind Frauen meist so anders als Männer? Warum können viele Männer nicht kommunizieren? Wenigstens auf Niveau 1: nur die Gesichtsmuskeln leicht entspannen und ein Zeichen geben. Oder Niveau 2: „Schöner Tag, ist es nicht, und darf ich hier schnell durch? Danke.“ Im Restaurant erleben wir weitere Kontaktamputierte. Russen, die etwas essen kommen. Mit diesem Gesichtsausdruck putze ich nicht mal das WC, denn auch dieses erweist mir ja einen Dienst. Oder die zwei irakischen Herren, die ihre Schwarztuch-Frauen in einer Linie am langen Tisch aufgereiht haben und sie und die servierenden Frauen wie rumänische Strassenhunde behandeln: Regel 1: Nichtbeachtung, Regel 2: Anordnung. Anders und ähnlich der Mercedes-Herr aus Kazachstan: Er bestellt für sich und Frau und Kind, was man nur bestellen kann, stochert manchmal lustlos und schweigend etwas aus einem Teller, bezahlt und verschwindet. Da lobe ich mir Alina und Maria aus der Ukraine und aus Tbilisi, die mit uns den Match schauen und auch mal einen hausgemachten (wwooowww!!) Cognac aus dem Fässchen befreien.

Am nächsten Tag fahren wir, bei schönem Wetter, weiter aufwärts. Auf 10° und Schneereste hinauf. Landschaft bewundern und Besonderheiten entdecken. Zum Beispiel den Wintersportort Gudauri, der im Sommer aussieht wie jeder Winterferienort, traurig und verlassen, und dazu noch kein mondänes Luxusgesicht hat. Kreativ wirken die Hotelnamen „Edelweiss“ und „Lugano“. Weniger kreativ die schweren Lastwagen, die sich durch die steilen Kurven schleppen. Und was für ein Wunder von Menschenhand steht denn auf diesem Plateau über dem Abgrund? Ein Chewischer Rundtempel? Mit zumietbaren Suizid-Terrässchen?





Der letzte Ort vor der russischen Grenze heisst Stepantsminda. Es ist kalt hier oben. „But my husband make sauna in our house“, sagt die Frau mit Fistelstimmchen. Zimmer, Restaurant, Sauna. Und Forellen könne sie uns machen, wedelt sie uns vor als wäre sie selber eine. Mir gefällt die aufgehängte Photo des Hauses, als es noch keine Sauna hatte.




Der Grenzübergang zu Russland hat eine ganz besondere Regelung, wie sie nur Kriege, Macht- und Ohnemacht-Politik und wirtschaftliche Interessen in Gemeinschaftsarbeit zu Stande bringen: Alle von Russland kommenden Fahrzeuge können problemlos nach Georgien einreisen. Also auch die russischen Lastwagen, die Waren nach und durch Georgien transportieren. Umgekehrt können alle nach Russland hinüber – ausser die Georgier! Die reizen nämlich den russischen Bär allein schon dadurch, dass es sie gibt. Interessant wird es dann bei Alina im Strassenrandhotel, wo Russen, Ukrainer und Georgier aufeinander treffen. Das ist insofern kein Problem, als man ja da vor allem den Hunger stillt. Die Ukrainerin Alina macht ihren Job, wie sie schon in andern Ländern ihren Job gemacht habe. Was in ihrem Land vorgeht und wovor sich die Georgier fürchten, versucht sie zu verdrängen. Die Haltung der Russen sei schon mehrheitlich die, dass Putin doch nur wiederherstellen wolle, was vorher war. Nämlich Russland.
Dieses vordergründige Argument, was oder wie es früher war, habe ich nun schon so oft gehört. Und für jeden ist „früher“ der Zeitpunkt, wo sein Land an grössten war. Früher war das alles Rumänien – früher war das türkisch – früher war das ein grosses armenisches Reich – früher reichte Azerbaidschan bis hier. Diese Lektion habe ich als 16-Jähriger von meinem Vater gelernt: Warum sollen die Jurassier mit ihrer andern Sprache und Kultur zu Bern gehören? Aber die Berner standen damals den jurassischen Separationswünschen genauso bernisch-stur und dumm gegenüber wie Putin den ehemaligen Sowjetrepubliken, die er mit nationalistischem Geschwafel und Panzern ohne Nummernschild in den Senkel stellen will.




Auf der andern Seite hätte es mich interessiert, welchen Pass und welche Gesinnung die vier Typen in der Tasche hatten, die einen Lastwagen zu reparieren versuchten. Hier geht es um eine andere Art von schmutzigen Händen. Helfen, anpacken, die alte Karre wieder zum Laufen bringen. Ich rate mal: Der Chauffeur ohne Mienenspiel war Russe. Dass die drei Mechaniker, die auch redeten und lachten, Georgier waren, weiss ich.



Und gegenüber plätschert ein Schwefel-Phallus fröhlich vor sich hin.