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Freitag, 15. Mai 2015

Zum Auswärtsspiel (und nach dem Spiel...)








Der Sonnenkultplatz liegt im trostlosen Bergregen.





Aber alles von vorne: Von Gjumri fahre ich nach Vagharshapat, das nahe bei Yerevan liegt. Hier müsse man unbedingt hin um die älteste Kirche und den Hauptsitz der Armenischen Klerik zu sehen. Der religions-historische Name der Stadt lautet Ejmiatsin. Okay, man war da, man hat`s gesehen, und man hat 8 Dollar (!) Parkgebühren bezahlt. Ansonsten fühlt man sich sehr frei in Armenien, man kann hingehen, wo man will, es wird einem nirgends Geld abgeknöpft, auch nicht in Yerevan, aber hier, an der heiligen Stätte, wird schamlos kassiert.



Durch die Ararat-Ebene fahre ich weiter in südlicher Richtung. Ich habe noch weitere 8 Dollar in der Tasche, also versuche ich es nach Artashat mit einem der berühmtesten Klöster, Khor Virap. Es ist auch daher bekannt, weil sich gleich hinter ihm die gesperrte Grenzzone zum türkischen Nachbarn befindet, und weil sich hinter dieser auf dem Boden des netten Nachbarn Mr Ararat himself präsentiert. Wenn er sich nicht gerade, so wie heute, in den Wolken versteckt. Der Abriss ist hier nicht schlimm, sondern eher sympathisch und schlitzohrig. Ein paar Typen stehen mit tragbaren Käfigen herum, vollgepfercht mit weissen Tauben. Für zwei Dollar darfst du eine fliegen lassen. „Pigeon for peace!“ Wer will schon kein Pazifist sein neben dem Kloster und an der feindlichen Linie! Und das kleine, schwache Friedenstäubchen schafft es gerade mal um einige Baumwipfel herum und landet wieder bei seinen Leidensbrüdern im Käfig. Und beim geschäftstüchtigen Besitzer. Das ist Business! Würdig für die Preisvergabe für innovatives Unternehmen. Es braucht dann nur noch einen englischen Namen. Wie wär`s mit FBS – Fly-back-selling?




Weiter geht `s über den Tukh Manuk Pass. Berge und Felsen und Steine hat es genug in Armenien. Für mich ist es das Land der Steine. Es stehen ja auch viele dieser alten Kreuzsteine herum. Die alten Häuser sind aus dicken Steinbrocken gemacht. Überall Stein und Steine. Und was transportieren viele der alten, schwarz stinkenden Lastwagen? – Steine! Sie sind wohl zu wenig gleichmässig übers Land verteilt...





Vor Yeghegnadzor sehe ich eine „Camping“-Tafel. Tatsächlich. Armen erklärt, er sei daran, den ersten Campingplatz Armeniens fertig zu bauen. Er ist very nice, was scheinbar einfach so ist in Armenien, und für die eine Nacht verlangt er vom einzigen und ersten Gast dieses Jahres – nicht wie die Kirche – gar nichts. Ich insistiere. „Also, dann halt 100 Dram.“ Ich darf letztlich 1000 geben. = 2 Franken. Dabei hat mich der liebe Kerl auch noch in ganz Yeghegnadzor herumchauffiert, um meinen Generator reparieren zu lassen. Allerdings musste dann ein neuer gekauft werden, was bedeutete, verschiedene Läden abzuklappern. „Nein, haben wir nicht.“ „Ja, haben wir“, aber warum wird keiner gezeigt? Armen fragt, redet, verhandelt. „Steig ein, wir gehen weiter.“ Und dann findet sich plötzlich einer, in einem Laden, in welchem wir schon mal waren. Auf der Strasse wird er getestet, Passanten mischen sich ein und wissen noch etwas Wichtiges dazu. Es ist ein Produkt aus der Türkei, mit der der Import-Handel bestens funktioniert. Lastwagen bringen alles Mögliche auf dem Umweg über Georgien nach Armenien. Business yes, aber die Grenze muss geschlossen bleiben, solange ihr uns eure Genozid-Geschichte anhängt.




Über den Vorotan Pass gelange ich in Armeniens entlegenste und wildeste Provinz Sjunikh. Wild war auch die Fahrt hierhin, denn wegen des schlechten Wetters will ich die Nacht nicht auf den trostlosen, nebligen und kalten Bergen verbringen und gönne mir eine Fahrt bei Dunkelheit nach Sisian hinunter. Die Strasse ist teils gut, teils schlecht, Lastwagen blenden mir entgegen, es regnet, Nebel und Schmutz kleben an der Scheibe, und die Schlaglöcher halten mich wach. Zwischen der Hauptstrasse und dem etwas abseits gelegenen Sisian soll es eine Art Steinkreis geben. Da müsste doch ein Parkplatz zum Übernachten sein. Ja, das Schild! Zorakhar. Abzweigen auf einen Naturweg. Du siehst nichts ausser dem aufgeweichten, tiefen, seifigen Dreck vor dir, der immer schlimmer wird. Nein, nicht mehr weiter! Den Wagen auf die matschige Wiese stellen, die natürlich mit Steinbrocken garniert ist. Gute Nacht, am Morgen werde ich sehen, wo ich bin. Und neben mir ist vielleicht der Steinkreis, in dem ich der Sonne huldigen kann. – Tatsächlich, 300m entfernt steht er. Aber nicht wie im Reiseführer abgebildet in brauner und furztrockener Landschaft. Es giesst wie aus Kübeln. Es ist übrigens kein Steinkreis, sondern in einem Kreis stehende, von irgend etwas übrig gebliebene Steine. Nix Sonnenkult. 
Dafür kriege ich Besuch. Denis und Marina aus Russland, unterwegs mit einem Geländefahrzeug. Zum Abschied schenken sie mir drei Dosen ihres Fleischvorrats. Von Nishnij Nowgorod in einer eingebauten Extra-Schublade über Tschetschenien, Aserbaidschan und Georgien hierhin transportiert. Da gibt`s natürlich eine Schweizer Schokolade dafür. Eine, nicht drei.



Eine gute Stunde brauche ich für die verbleibenden 30 km nach Goris. Am Srassenrand stehen oft alte Autos, auf deren Motorhauben aufgestellt ist, was feilgegoten wird. In dieser Gegend sind es nicht mehr Erdbeeren, sondern Pilze. Ab und zu kommt eine Tankstelle, die man aber als solche erkennen muss. 





Goris. Von oben sieht es nett aus, das Städtchen da unten. Ich gehe durch die Strassen des Zentrums, in denen man aufmerksam schauen muss, um irgendwo einen Farbfleck zu entdecken. Entlang eines grauen Verwaltungsgebäudes steht eine Reihe von armenischen Flaggen. Rot-blau-orange. Zum Hundert-Jahre-Gedenken an den Genozid. Am Hauptplatz sitzen junge Männer in ihren Autos oder stehen drum herum und wissen, dass sie das auch morgen und übermorgen tun werden. Ich finde ein Restaurant und werde von betrunkenen jungen Männern mit Jubel empfangen, wie ein alter Freund, der heimgekehrt ist. Es wird Bier bestellt, feuchtfröhlich in den traurigen Raum hinein gelallt und gelacht, und das einzige, was ich tatsächlich verstehe, ist, dass die Serviererin für 100 Dollar sicher mit mir vögeln würde. „Jungs, ich verstehe euch gut, obwohl ich euch nicht verstehe, aber ich geh` dann mal wieder.“





Letzte Etappe: Von Goris nach Kapan. Zum FC Gandzasar. Sie führt mit Kurven und Kehren der azerischen Grenze entlang über die Berge. Nicht allzu hoch, und daher durch Wiesen- und Waldlandschaft. Die wenigen Dörfer sind sehr arm. Aber auch in der armseligsten Hütte, bei einem Bauern, der gerade am Schafe scheren ist, kriege ich einen vorzüglichen armenischen Cognac.








In Kapan grüssen zunächst alte, verlotterte Industriegebäude aus der Sowjet-Zeit. Nicht ohne einen gewissen Charme. Was man von den vielen riesigen Wohnblöcken, die auch aus dieser Zeit sind, nicht behaupten kann. Immerhin: Hanglage mit Aussicht. Im Zentrum finden sich Farben, schöne, klare Farben. Und schöne, alte Autos.












In der Nähe, auf der Strecke Richtung die nicht mehr weit entfernte iranische Grenze, liegt ein 1000 Jahre altes Kloster. Eine Frau hütet es für die wenigen Interessierten. Ihre Behausung gleich an der Klosterwand wird wohl nicht 1000 Jahre überdauern. Sie hütet heute auch ihren kleinen Enkel. „Nein, nicht auf den Altar klettern!“ „Nein, kein Kerzli anzünden!“ Ich lasse zwei springen, schliesslich verlangt man hier keine Parkgebühr. Noch eine Foto vom kitschigen Jesus und einem seiner Angestellten, um kurz danach ein weiteres süsses Bild an einem andern Haus an der Strasse nach Persien zu entdecken. Eigentlich sehe ich zuerst ein paar Tischchen mit Sonnenschirmen und halte an. Jetzt gebe es nichts, erklären mir die zwei lahmen Typen, aber ab zehn Uhr abends sei geöffnet. Silbern leuchtet die Stange auf dem runden Podium, darum herum schwarze Tische mit roten Sesseln. Modern und sauber. Für die iranischen Camioneure? Schade, ich möchte ja ans Spiel meines FC Shirak.







Meine Lieblinge sind nämlich schon gestern Abend nach achtstündiger Fahrt quer durchs ganze Land mit zwei Minibussen eingetroffen. Der Trainer und sein Assistent sind schon früher angekommen. Kaffee trinkend und rauchend warten sie auf die Spieler. Der Trainer himself organisiert mir einen Kaffee, indem er laut über den Platz einen Namen ruft. So wie in Gjumri die Mama Shirak gibt`s hier in Kapan die Mama Gandzasar. Sie erhebt sich von der Spielerbank gegenüber und tut, wie ihr befohlen. Dann räkelt sie sich wieder hin. Nach der Ankunft absolvieren die Spieler im Abendsonnenregen ein Training, während Arud und ich Französisch parlierend unsere Erfahrungen als Ausländer-Betreuer eines Fussballclubs austauschen.






Nächster Tag, 17.00: 
Der Speaker, auch hier zwei nette, Englisch sprechende Fräuleins (im Sekretariat angestellt) und der Pressesprecher, der aussieht als übte er diesen Job schon seit 100 Jahren aus.


Die VIP-Loge!


Die fröhlichen Fans:



Die friedlichen Polizisten, wohl unabsichtlich im Sowjet-Nostalgie-Look:


Der Match: Lebendig – 6 Tore – gerecht verteilt – ein Penalty – eine rote Karte. Der Kampf um die Plätze zwei bis vier bleibt spannend – noch zwei Runden. 
Persönliche Bilanz: Sie hätten mir gerne ein Tricot gegeben, fanden aber kein übriges. Auf nächste Saison gebe es dann neue. Immerhin besitze ich einen Kalender – vom Jahr 2014...