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Dienstag, 12. Mai 2015

Armenischer Fussball !









Für dich, Dani! „Ein Stadion, schau, ein Stadion!“





Acht Vereine spielen in der obersten Armenischen Liga. Sechs davon sind von Yerevan. Einer, der Grandzasar FC, ist in den südlichen Bergen, in Kapan. Ein anderer, der Shirak FC, ist in Gjumri, im Norden. Er habe die besten Fans, wird mir gesagt, da kämen nicht nur hundert Zuschauer wie in Yerevan. Stimmt: Es kamen etwa doppelt so viele. 
Nachdem mir von den Wenigen in der Stadt, die für Fussball nicht nur ein Schulterzucken übrig haben, drei verschiedene Anspielzeiten genannt worden sind, gehe ich um 12 Uhr zum Stadion. Es liegt nur zehn Fussminuten vom Zentrum entfernt, am Stadtrand bereits, umgeben von zerfallenden, nicht mehr bewohnten und doch noch bewohnten Häusern, erdigen Strässchen, die wohl nach hundert Metern enden und Wiesen, die so heissen, weil dort Gras wächst. Am Eingang stehen ein paar Typen, einer mit einer Allwetter-Trainerjacke, zwei mit Pullovern und einer mit einem Kittel und einer umgehängten Sporttasche. Letzterer wird mir als der Trainer vorgestellt, und ja, das Spiel sei in zwei Stunden. Natürlich könne ich mich überall umsehen, und ob sie noch ein Föteli von mir machen sollen. Ich frage, wo ich ein Ticket kaufen könne. Ein Erstaunen und ein Lächeln – niemand brauche ein Ticket zu kaufen. Sonst würde auch niemand kommen. Für den Match solle ich dann in den VIP-Bereich gehen. 
Hinter der Tribüne wird noch Müll weggekarrt und der TV-Wagen richtet sich ein. Die Spieler, und wer halt noch so dazu gehört (zum Beispiel der Bruder des ehemaligen YB-Spielers Petrosyan), beginnen sich im Eingangsbereich zu versammeln. Sie möchten wissen, wer dieser Fremde ist. Einer spricht gut Englisch, der serbische Innenverteidiger. Zusammen mit ihm spielen drei weitere Ausländer für Shirak, zwei von der Elfenbeinküste und ein schwarzer Portugiese. Dieser führt im Moment die Torschützenliste der Liga an. Warum, wird später klar: er ist schnell, agil und hat einen satten Schuss.




In der VIP-Loge lerne ich die „Mutter Shirak“ kennen. Sie führt den Laden. Zur Auswahl stehen schwarzer Kaffee, Néscafé und Tee, alles schön bereit auf einem kleinen Tisch. Und sie drückt mir ein Schöggeli in die Hand. Dann kommt eine junge Frau zu mir. Sie ist die Pressesprecherin des Clubs. Der Besitzer des Clubs, der unter anderem auch im Parlament sei, habe ihr den Job angeboten, weil sie sehr gut Englisch spreche. Er habe den VIP-Bereich einrichten und einen neuen Rasen verlegen lassen. Er bezahle natürlich auch die Spieler. Die würden etwa 1000 Dollar verdienen, bei den Ausländern könne es bis zu 4000 Dollar gehen. Sie stellt ihn mir vor. Sein Händedruck ist weich und schwammig, und er schaut an einem vorbei. Während unter uns aus einem alten Lada die Lautsprecher ausgeladen und neben dem Spielfeld die Polizisten gebrieft werden, kommt ein zweites Girl dazu. Auch sie ist locker und natürlich, nicht aufgemotzt, auch sie spricht sehr gut Englisch, und auch sie ist Pressesprecherin, und zwar vom Gegner, dem FC Pyunik, dem Tabellenersten aus Yerevan. Die zwei sind gute Freundinnen. (Und ihre Chefs wohl gute Freunde.)






Das Spiel hat schon begonnen, als das Häufchen der Fans auf der Gegentribüne aufmarschiert, der Fans der Heimmannschaft! Verloren stehen sie dann dort, wie die Wil-Fans auswärts in Lausanne – ein Transparent, eine Pauke und ab und zu ein paar „Shirak“-Rufe. Gleich unter mir wird eine Reihe mit alten Menschen gefüllt, man stützt sie behutsam zu ihren Sitzen. Einige sind reichlich dekoriert mit Auszeichnungen und Medaillen. Ich denke an die Ältesten eines kasachischen Stammes, doch es sind Kriegsveteranen, die gestern an der Feier zum Ende des Zweiten Weltkrieges teilgenommen haben.





„Wir“ verlieren das Spitzenspiel Zweiter gegen den Ersten mit 0 : 2, was aufgrund des besseren und druckvolleren Mittelfeldes des Pyunik FC auch in Ordnung ist. Niveau: Durchschnitt CH-Superleage, der FC St.Gallen hätte in seiner derzeitigen Verfassung auch verloren. (Und: der serbische Verteidiger und der portugiesische Stürmer von Shirak und vor allem der mexikanische Mittelfeldmotor von Pyunik wären eindeutig Verstärkungen für den FCSG. Vielleicht liest Heinz Peischl meinen Blog. 5000.- monatlich müssten ja drinliegen.)
Nach dem Spiel geht`s noch an die Pressekonferenz. Wir sind zu fünft: Der Offizielle, der Trainer, der Laptop-Journalist, der Photograph und der Schweizer Gast. Die Pyunik-Spieler besteigen ihren alten Bus, und einige Shirak-Spieler nehmen das gelbe Lumpensammler-Büssli.



Als ich am Abend in einem Restaurant einen Kaffee und einen guten armenischen Cognac trinke, kommen die drei schwarzen Spieler herein. Womit sich die Gästeschaft fast verdoppelt... Was sollen die armen Kerle in diesem Kaff, der zweitgrössten Stadt Armeniens, denn tun? Auf den Telephonanruf aus FC St.Gallen oder aus FC Wil warten?
Übrigens: Nächsten Samstag haben „wir“ ein Auswärtsspiel. In Kapan, gegen den Grandzasar FC! Die Strasse dorthin soll am Ende fürchterlich sein. Heisst das schlimmer als auf der heutigen Etappe?