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Sonntag, 26. April 2015

In den ostanatolischen Winter









Die Türkei ist gross. Anatolien ist grösser.







So kommt es mir vor, wenn ich Kilometer um Kilometer, Steigung um Steigung, Berg um Berg, hinter mich bringe. Da lacht das Trucker-Herz. Aber nur verhalten, denn es wird kälter und kälter, und vor mir sehe ich hohe, schneebedeckte  Berge. Zwar in der Sonne leuchtend, aber der Wetterbericht sieht Schlimmes voraus. 
Dunkel, garstig und vom kalten Wind bewegt zeigt sich der Euphrat und nimmt`s stoisch. Er weiss, wo er bald sein wird. 
Ich mache einen Halt in Elazig. Wie viele Städte ist es hässlich. Hässliche Häuser, alte wie neue, hässliche Läden, hässliche Verschönerungen. Der Blick bleibt an nichts hängen, vielleicht mal an einem Schild oder an einem blühenden Zweig. Im Burger King tuschelt das Personal. „Schau, ein Fremder.“



Oft sind die Flüsse gestaut. So stehen ein paar Felsbrocken weniger herum.
Auf der Fähre freue ich mich aufs Abladen auf der andern Seite. Weil ich weiss, dass jeder zuerst wegfahren möchte. 
Gibt es eigentlich wissenschaftliche Studien über die spezifischen Eigenheiten der verschiedenen Völker? – Warum können Türken nicht anstehen? Warum fotografieren Japaner so dumm? Warum kratzen sich Italiener dauernd am Schwanz?  Warum wischen Afrikaner die Treppe von unten nach oben? Warum gewinnen Deutsche immer? Warum fahren Engländer links? Warum meinen Schweizer, sie seien bescheiden? – Hat das genetische Ursachen?



Am nächsten Tag ist es noch kälter. Ich steige nur für elementare Bedürfnisse aus.






Es folgt der Höhepunkt. Erzurum. Auf 2000m gelegen. 3°, es schneit. Ich finde ganz im Zentrum einen Platz neben einem Hamam und mache erst mal ein Photo durchs Wohnwagenfenster. 
Fast alle Männer tragen Bärte, fast alle Frauen Kopftücher. Alle Moscheen haben Minarette. Und von allen tönt es gleichzeitig und gleich laut herunter in den Matsch von ungeflickten Strassen und frischem Schnee. Ausser dem Weiss des Schnees gibt es nur Grau, Braun und Schwarz. Alle Menschen tragen Grau, Braun und Schwarz. Die farbigen Reklame-Schriften der Boten der neuen Welt können da nichts ändern daran. Erzurum ist nicht Napoli. 
Ich gehe in ein traditionelles Kebap-Lokal. Es ist leer. Das männliche Personal langweilt sich. Man bringt mir ein mickriges Spiesschen, sonst nichts. Ein Amuse-bouche? Oben im Fernseher läuft ein türkisch synchronisierter Gewaltverherrlichungsfilm. Der Held steht mitten auf einem Fabriksgelände und ballert jeden Bösen, der hinter einer Säule steht, nieder ohne selber getroffen zu werden. Vergebliche Müh`- die gesuchten Dokumente verbrennen vor seinen Augen. Mehr gelangweilt als enttäuscht steigt er über die Leichen und verlässt das Areal. Ich tue es ihm gleich und möchte zahlen. Nein, das sei geschenkt, und schönen Abend noch.




Oh Erzurum! Ich finde die Ausfahrtsstrasse gegen Norden nicht und finde mich auf einer tieflöchrigen Strasse im Nichts. Von der braunen Brühe des übervollen Baches überschwemmte brache Felder, Abfall von niemandem, Bauschutt von nichts Gebautem, Spatzen an den Pfützen, dunkle Wolken und leichtes Schneetreiben, ein schmutziger Storch winkt dem im Schritttempo vorbei fahrenden Wohnwagen, this is the end, my friend, ist es zwar nicht, aber so müsste es aussehen, und dann, es ist nicht genug, liegt neben mir ein totes Pferd, jung sieht es aus, es hätte noch ein langes Leben in endloser Freiheit vor sich haben können, und jetzt liegt es da als hätte es sich bloss etwas hingelegt, bis die Sonne wieder kommt oder eine schöne Reiterin auf ihm reiten möchte, bloss für ein Stündchen sich ins Ufergras des gurgelnden Bächleins gelegt, ohne zu ahnen, dass es das letzte Stündlein ist, und der Schnee der letzten Nacht bleibt kleben an ihm, bis die Tage wärmer werden.



Ich fahre abwärts, dem Schwarzen Meer entgegen, immer Felsen, Geröll und Schnee, kaum Ortschaften. Langsam hellt es sich auf, und ich verfolge auf der Anzeige, wie die Temperatur stetig steigt. Bei 10° bin ich zufrieden und finde einen Platz für die Nacht. „Hos geldiniz“ steht daneben. Da kann nur ich gemeint sein, denn sonst ist da keiner.



Am nächsten Morgen kommen vier Wetter-Schamanen vorbei. Dem alten Brauch entsprechend mit Hacke und kleineren Gerätschaften ausgerüstet. Zwei von ihnen verkörpern das Weltliche, und zwei, in braunes Tuch eingewickelt, versinnbildlichen das Geheimnis und das Unnahbare der irdischen Natur. In festgelegter Schrittfolge hintereinander gehend sollen sie Einfluss haben auf Wärme und Gedeihen. Und tatsächlich scheint die Sonne am blauen Himmel.


Und hoppla bin ich in Hopa am Schwarzen Meer. Sonnenschirme als Abschied von der Türkei.


Am besten folge ich diesem Lastwagen: