Seiten

Montag, 20. April 2015

In den kürdischen Frühling








Alles wächst und steht in Blüte, die Tomaten reifen unter dem Plastik, und Hochzeiten schiessen aus dem Gras.








Unabhängig von der Jahreszeit gibt es in der grossen Ebene um Adana herum viel Wachstum zu bestaunen. Über die Jahre Gewachsenes. Wildwuchs. Konzeptlos. Ideenlos. Wohnhäuser, Läden, Strassen, Garagen und Werkstätten ohne Adjektive. Einfach da. Entstanden und da. Alles mit Menschen bestückt. Und mit Autos, Traktoren und Lastwagen. Es gehen mir Wörter durch den Kopf, die man sich anderswo leisten kann: Raumplanung, Zonenplan, Quartierleben, Einsprachen, Lebensqualität.

Schön ist die Autobahn, die aus der Ebene hinaus in die Berge von Kurdistan führt. Mit Tüneli und Viadügü.

Der Szenenwechsel gelingt. Auf einer Nebenstrasse krieche ich in die Berge. Es wird schmal, und der Hauptort ist langgezogen. Ganz oben als Belohnung die Aussicht. Und ein heftiger, kalter Wind. Stoisch und mit monotonem „Ffft – ffft - …“ antworten die riesigen Propeller den Angriffen des Windes.



Die nächste Etappe endet an einem See in einer grünen Ebene. Auf einer Landzunge hat man einen Freizeitpark erstellt. Mit Restaurants und reihenweise Grillplätzen. Man stellt das Auto nicht auf dem grossen Parkplatz ab, sondern fährt direkt zu einer Grillstelle. Man hat ja schliesslich ausser der Familie noch einiges an Zubehör auszuladen. Die Teams sind eingespielt, die Aufgaben scheinen zugeteilt. Decke ausbreiten, Feuerchen machen, Tee aufsetzen… So räuchelt und hammelt es im 5-Meter-Abstand würzig und flächendeckend in die Frühlingsluft.

In einem am Nachmittag noch vor sich hindösenden Restaurant esse ich etwas. Am Abend finde ein Konzert statt, sagt Ali. Und sie seien alevitische Kurden hier (oder kurdische Aleviten). 




Mir gefällt`s. Die Musik und die Atmosphäre. Es sind sehr gute Musiker. Mehr als wehklagendes Schrumm-schrumm. Je mehr Bier ihnen gebracht wird, desto besser werden sie. Gegen Mitternacht taucht ein weiterer Sänger auf. Er sieht aus wie der nette Student von nebenan. (Er hat auch studiert, in Frankreich, wie er mir später sagt.) Hasan, der Sänger. Der Gitarrist heisst auch Hasan. Der Sas-Spieler auch. Nur der Schlagzeuger heisst Ali. Sie singen kurdische Lieder, und sie haben viele Lieder zu singen, die Kurden.








Erst lange nach Mitternacht haben sie genug. Nein, sie haben nicht genug. Nicht genug gespielt und gesungen und nicht genug Bier und Raki getrunken. An einem Tisch geht es weiter.

Um vier Uhr wird beschlossen, jetzt gehe man Suppe essen. Spezielle Suppe… Wir setzen uns in einen kleinen Fiat und brettern auf der leeren Strasse über die leere Ebene zu einer Hauptstrassenkreuzung. Zu einem Verpflegungsplatz für die Nachtchauffeure. Der Koch spricht kein Wort, als könne er nicht sprechen. Er sei aus Syrien, erklären die Hasans. Ein Knabe, dessen Gesicht aussieht, als sei er seit 50 Jahren immer nur nachts auf den Beinen, spielt den Kellner. Dann wird sie serviert, die Suppe. Schafszungensuppe, gut gewürzt, dazu Wasser und Brot. Und Salat: Schafshirn mit Tomaten. Zuletzt wird alles vor dem Lokal mit dem obligaten heissen Tee neutralisiert. Dann mit 150 über den rauen Belag zurück brettern.