Seiten

Samstag, 11. April 2015

Hasan spricht Bayrisch









Aber Rudi kein Türkisch.





Hasan spricht leise. Und Rudi spricht laut

Nach dem Tree-house-village komme ich nach Antalya. Eine Stadt. Keine tree houses. Hässliche, seelenlose Wohnblocks, auf den flachen Dächern bestückt mit Wasserfässern und Satelliten-Empfängern. Dazwischen mal ein modernes, protziges Glasgebäude oder ein Hotelkomplex, an dem ein Architekt die unbegrenzten Möglichkeiten seines Computer-Zeichnungsprogramms hat austesten können. In den Gassen der Altstadt wird Deutsch gesprochen. Trotzdem braucht es einen Verständigungs-Code. „Wo kommst du her? Ich habe eine Frage“, bedeutet: „Komm mal näher, damit ich dir schnell einen Klacks Schuhcrème verpassen kann.“ „Wegmachen“ heisst: „Gerne vollende ich mein begonnenes Werk zu den ortsüblichen Tarifen meiner Zunft.“ Sich ärgern darüber ist dumm. Spielen damit kann lustig sein. Schaffe ich es, dem aufdringlichen Kleiderverkäufer statt der Hose die oberkörperamputierte Puppe abzukaufen, an der die Pants präsentiert werden? Jetzt wird echt gefeilscht. Kann er auf einen seiner verbeulten Plastic-Ärsche verzichten? Dass da preislich nicht viel drin liegt, darüber sind wir uns schnell einig. Aber will er oder will er nicht?








Dann ist Küstentuckern angesagt. Oft bei Regen und kaltem Wind. Viele Banananplantagen, mal eine Moschee, mal eine Tee-, Bier- und Köfte-Baracke.

 

Dort treffe ich auf Hasan und Rudi. Rudi lebt schon seit vielen Jahren hier, und Hasan hat früher lange in Augsburg gelebt.    
Hasan hat ein schlankes, braungegerbtes Gesicht. Rudi hat einen runden Kopf mit roten Backen. Hasan trägt eine helle Faltenhose, einen Kittel und Halbschuhe. Rudi einen grünen Pullover und eine Arbeiterhose. Rudi hat eine Frau, eine Türkin. Hasan hat keine. Heute haben sie zusammen ein Moped gekauft, ein gebrauchtes. Rudi erklärt Hasan, dass man den Tachometer abschrauben müsse. Und dann wieder dran schrauben, wenn man es wieder verkaufe. Mit den Autos sei das schwieriger. „Do muesst aufpassen.“ Beide finden, dass das Bier in der Türkei zu teuer sei. Und dass der Wurm drin sei, im Wetter dieses Jahres. „Heier is einfach der Wurm drin.“ Ich kann`s bestätigen.

Sie bleiben beim Wurm. Der Rudi weiss, dass die besten Früchte diejenigen sind, in denen ein Wurm ist. „Weil der Wurm, der geht in die besten Früchte hinein. Nimm einen Apfel oder eine Birne, oder auch Gemüse, ein Radieschen, oder beim Salat, an welche Blätter geht die Schnecke? An die besten und grünsten.“ Hasan verzieht das Gesicht. Apfel mit Wurm oder Salat mit Schnecke? Rudi beharrt drauf: „Hasan, du bist a Depp! Die besten Früchte wirfst du weg. Dabei brauchst bloss die Stelle, wo der Wurm reingegangen ist, mit dem Messer wegschneiden.“

Hasan hat nur eine Möglichkeit: Zuhören und lächeln. Oder nachfragen: „Wie erkennt man denn die besten Frauen?“ – Wieder kein Punkt für Hasan, denn Rudi weiss es: „Des konn i dir scho sogen. Die gibt`s net, die besten Frauen!“ Die Begründung folgt auch gleich: „Die wollen alle das Gleiche, weisst, was die alle wollen?“ Er zeigt`s, indem er den Daumen am Zeigfinger reibt. „I hob scho vui erlebt.“

Jetzt bin ich bei Silifke und habe eine Bucht fast für mich allein. Zwei Hunde sind noch da. Der grössere hat scheinbar gelernt, dass man am besten durchs Leben kommt, wenn man unterwürfig auf dem Bauch robbt und einen Blick aufsetzt, der sagt: „Woasst, i hob scho vui erlebt.“






Allein und einsam ist man eben nirgends in der Türkei. Du glaubst dich vielleicht allein hinter Steinen und Büschen, willst gerade die Hose runter lassen, und in dem Moment siehst du ihn, den Feind, der behaglich hinter dem nächsten Stein hockt. „Sei gegrüsst, Kamerad! Ist es nicht wunderbar hier?“

Gestern war ich bei Nachbars zum Tee. Man pflegt das Quartiersleben hier in der einsamen Bucht. Sie haben nur ein paar Bäume weiter eine kleine Hütte, aus Ästen, Plastik und Styropor, was die Natur halt so hergibt. Wir haben uns über dies und das unterhalten, über moderne Kunst, über die unsichere Entwicklung des Euro, über die Universitätsabschlüsse unserer Kinder, über gleichgeschlechtliche Adoptiveltern und über den Gebrauch des neu eingeführten Sprays bei Freistössen.




Heute habe ich zwei echte Freaks kennen gelernt.

Am einen Ende des Strandes, kurz bevor die steilen Felsen schroff im Meer versinken, erkennt man aus der Ferne eine dunkle Stelle im Fels. Ist es der Eingang in eine Höhle? In Entdecker- und Abenteuerlaune gehe ich hin, gefolgt von meinen zwei Hundis, die mich nicht mehr aus den Augen lassen, seit ich ihnen immer mal wieder ein flockiges Stück Weissbrot hinwerfe und dazu sage: „Wurscht, Hundi, Wurscht!“ (Interessant, wie schnell sich der türkische Hund auf die deutsche Sprache einstellt.) Der grosse will dauernd an mir hochspringen, weil er sich jedesmal freut, wenn er mich sieht. Der muss einen Anteil Alzheimer in seinem Stammbaum haben. Jedenfalls übe ich jetzt mit ihm, mich nicht anzuspringen, wenn ich am Pinkeln bin. Ich stelle dabei, so gut es halt geht, die Ellbogen aus und wiederhole mit fester und ruhiger Stimme: „Nein, Pipi, neeein Pipi.“ Bis er`s merkt, dass der Meister auch seinen Freiraum braucht. (Dumm war`s letzte Nacht, als ich schnell raus musste und hörte, dass er auf mich zukam. Ruhig und fest, aber halt nicht wach genug, sagte ich zu ihm: „Wurscht, Hundi, Wurscht!“)

Ich klettere also die letzten Meter dem Fels entlang zu jener Stelle und stehe tatsächlich vor einer Art Höhle, zumindest einer tieferen Einbuchtung. Und ich werde begrüsst! Zwar nicht auf die landesübliche „Hos geldiniz, lass uns einen zu heissen Tee trinken“-Art, eher unsicher, „Bist du Missionar oder Staubsaugervertreter?“ Wie die Repräsentanten eines autonomen Kleinstaates stellen sich die zwei Männer vor mir auf und schweigen mich aus ihren All-season-Wetter-Gesichtern an. Gewieft ziehe ich ein „Cok güzel!“ aus meinem Repertoire (kurz übersetzt: „Was habt ihr doch ein schönes Leben hier, fernab von Schuhputzern und Verkäufern gefälschter Jeans-Marken!“) 


„Uwe nach Bremen, Bullen“, sagt der wohl Ältere. Das war Deutsch. „Uwe weg, mit Bulle“, erläutert der Jüngere. „Raf, raf“, sagen sie dann beide und deuten an Höhlenwand, wo die aufgemalten Buchstaben „R A F“ noch undeutlich zu erkennen sind. Ich verklemme mir ein „Papa kommt bald wieder“ und frage stattdessen nach Mama. Begriff offenbar unbekannt. Klar, welche RAF-Frau liess sich schon Mama nennen? „Frau?“ Keine Reaktion. „Ute? – Heike? – Silke? – Anke? –  Stute? – Nelke? – Elke?“ Erfolg! „Elke bei Lars und Omar.“ Der Kleine holt zwei zerknitterte Zehn-Mark-Scheine aus einer Ritze und erklärt: „Geld holen.“ („Jetzt Merkel, fertig Markel“, denke ich bei mir.) Wie lange warten denn die zwei schon? Ich schaue mich in ihrem Zuhause um. Alles alter Plunder natürlich: Email-Tassen, Schlafsäcke, zerschlissene Kleider im Peru- und Indien-Stil der 60-er und 70-er, ein verbeulter Kassetten-Recorder, drei handbeschriftete Kassetten („Hannes Wader, Lieder für den Kampf“, „Südamerik. Rev. Songs“ und „Mahavishnu Orchestra: Between Nothingness and Eternity“), eine verrostete Petroleumlampe, eine Schreibmaschine (Hermes Baby), eine „Spiegel“-Ausgabe ohne Umschlag – die zwei deuten strahlend auf eine Seite, auf der in Fünferreihen Fotos von ernst dreinschauenden 30-Jährigen abgebildet sind. „Uwe, Uwe!“, sagen sie dazu und schieben dann ein weniger strahlendes „Bullen“ nach. „Und Oma?“, versuche ich den Erklärungen einen Dreh zu geben. „Spissa“, sagt der Kleine. „Oma Opa Scheissbürger“, ergänzt der Ältere emotionslos. „Und ihr geht nie weg?“, versuche ich es auf den Punkt zu bringen. Sie schauen mich verständnislos an. „Weggehen, fortgehen?“, frage ich. „Elke bei Lars und Omar. Elke warten“, sagt der Jüngere fast stolz und schaut zum Grösseren hoch, der mit seinen verbliebenen braunen Zähnen an einem Pflanzenstiel zu kauen begonnen hat.

Ich drehe mich nochmals nach ihnen um: „Wie heisst ihr denn?“ „Ernesto“, „Leo“. „Guevara und Trotzki?“ – Scheint ihnen nichts zu sagen.