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Mittwoch, 25. März 2015

Zu Ali









Durch Bulgarien in die Türkei. Vor der Abfahrt will ich das Abwasser ablassen. Das geht aber nicht.




Es ist über Nacht gefroren. Die bulgarische Sonne soll`s richten. Blauer Himmel. Was sofort auffällt nach der Grenze: Kein herumliegender Abfall. Erst nach Km 25 entdecke ich den ersten Plastiksack und die erste Petflasche. 



Und noch etwas fällt auf: Keine Hunde! Wie das Appenzellerland ohne Kühe. Es gibt ja in Rumänien nicht nur Strassenhunde. Es gibt auch Tankstellenhunde, Dorfhunde, Wiesenhunde, Müllhaldenhunde, Parkhunde, Parkplatzhunde, Lidl-Parkplatzhunde, Kaufland-Parkplatzhunde, Strandhunde, Zuoberst-auf-dem-Berg-Hunde, einfach überall Hunde. Und natürlich all die „privaten“ Hunde. Dazu die Wachhunde: die Baumaterialwachhunde, die Gebrauchtwagenwachhunde, die Lastwagenparkplatzwachhunde, die Alteisenwachhunde und die Gerümpelwachhunde.

Entlang der bulgarischen Schwarzmeerküste hat es einige gepflegte Touristenorte und vor allem viele gepflegte Äcker, Wälder und Gärten. Die Bäume werden geschnitten und das Winterlaub wird zusammengenommen. Sogar im Wald!

Und dann, plötzlich: Der erste Hund! Nach 169 Kilometern. So ein kleines, in Gestricktes eingepacktes Frühstückshundeli, an der Leine einer Sonnenbrillenfrau.



Dann die türkische Grenze. Ein kleiner Grenzübergang. Wie ausgestorben. Ich fahre durch, werde aber beim zweiten Schlagbaum zurückgeschickt. Ich müsse mir die Stempel besorgen weiter zurück. Türkische Zöllner stehen eben nicht draussen. Die wollen aufgesucht werden.

Erst später kriege ich die erste Kostprobe der türkischen Gastfreundschaft. Bei der Tankstelle werde ich vorzugsbehandelt. Scheiben reinigen, Schwatz, Routenanweisungen mit Google Maps ab Handy und als Geschenk zwei Duft-Tännchen. Nein, keine Tännchen, sondern das Konterfei von Generali Ali, dem duftenden.




Schon um sechs Uhr weckt mich ein feiner Duft. Generali Ali! Er hat Kaffee gemacht. Geschlafen hat er auf dem Sofa, mit Anzug und Krawatte. Draussen hat es dichten Nebel und es ist unter null Grad. Wir fahren zu den Dardanellen und setzen über nach Canakkale, auf die asiatische Seite. Von dort ins Landesinnere, in südöstlicher Richtung. Das Ziel ist, als Frühlingstourist die Mittelmeerregion von Antalya zu erreichen. Ali meint, das sei kein Problem, das könne er mir versichern, da sei er Profi. Vielleicht kommen aber bis dann noch ein paar weitere Berge mit ein paar weiteren Kurven und Steigungen. Generali Ali hat keine Versicherung gegen den Kurven-Turkey.






Die Idee, quer durchs Land von Canakkale nach Antalya zu fahren, war vom Wetter her gesehen nicht die beste. Immer mehr Dauerregen statt Frühlingsberge. Zweimal halte ich an einem Büfe an, um etwas zu essen. Und zweimal durfte ich nichts bezahlen. Die Logik der türkischen Gastfreundschaft: Du bist Gast hier, und weil du Gast bist, bist du eingeladen. Das Restaurant, auf dessen grossem Parkplatz ich den Regentag beschliessen möchte, ist scheinbar geschlossen. Trotzdem wird mir etwas zu essen gebracht. Und natürlich heisser Tee. Viel zu heisser. Und wann ich morgen mit ihm frühstücken wolle, fragt Sadet, der Deutsch spricht. „Hosgeldiniz“ heisst also wirklich „Willkommen“, und nicht „Loss Geld bi-n-is“.





Dies ist der heutige Übernachtungsplatz, fotografiert vom Überwachungsbildschirm in Sadets kleinem Office:



Auf der letzten Etappe bis zur Küste zeigt sich der Himmel blau. In der Ferne verschneite Berge, in den Ebenen überschwemmte Äcker und Wiesen. Immer wieder spitzeln Minarette aus der Landschaft. Weiter scheinen sie aber nichts zu tun zu haben. Die Männerfüsse stecken in Gummistiefeln (mit oder ohne Socken?), und die Frauen tragen diese neu-folkloristischen Prinzessinnen-Plastikschühlein. Grüne, schwarze, rosarote, hellblaue. Mit Socken, in allen Farben gemusterten, an ihren schweren Füssen.



Und da sind die Tankstellen. Die sind weniger zahlreich als die farbigen Socken, aber wohl zahlreicher als die Minarette. Es kommen laufend neue dazu. Ein Tankstellenwart is something to be. Beim Tanken ist Tee obligatorisch. Viel zu heisser. Die Haut meines Gaumens ist zerfetzt.

Im Shop einer Nowhere`s-land-Tankstelle entdecke ich zwischen Motorenöl, Massageöl und Teegläser-Geschenkspackungen zwei Broschüren. Auf Deutsch. Nur auf Deutsch. Scheinbar im Eigenverlag ohne weitere Angabe herausgegeben, geheftet mit einer Bostitch-Klammer:

„Humorvolle GESCHICHTEN, GEDICHTE UND GEBETE – IDEAL für REISEN und zum VORTRAGEN“,

sowie „Geistvolle GESCHICHTEN, GEDICHTE UND GEBETE – IDEAL für REISEN und zum VORTRAGEN“.


Zitate? –

„Lieber Arm dran als Bein ab.“ „Lieber eine Latte in der Hose als ein Brett vor dem Kopf.“

Oder aus dem geistvollen Werk: „Ein Mann träumte, dass er mit Gott den Strand entlang ging und dabei Szenen aus seinem Leben aufflammten. Für jede Szene sah er zwei Fussspuren im Sand, die eine gehörte ihm und die andere Gott. Er bemerkte aber, dass in den traurigen Abschnitten seines Lebens immer nur eine Fussspur zu sehen war. Er fragte Gott, warum er ihn gerade in den schlechten Zeiten allein gelassen habe. Der Herr antwortete: Ich liebe dich, und das waren die Augenblicke, in denen ich dich auf meinen Händen getragen habe.“

Und nochmals aus dem humorvollen Band, etwas gekürzt:

„Gegen Harn- und Blasenleiden,

sowie starkes Schweissaustreiben,

gegen schlechtes Augenlicht,

Fusspilz, Mückenstiche, Gicht,

gegen Kolik, Diarrhöe,

Gänsehaut und Ohrenweh,

gegen Kropf und Heiserkeit,

Politikverdrossenheit,

gegen Darmverschlingung, Sex,

gegen Minderwertigkeitskomplex,

gegen Bretter vor dem Hirn,

Talgausscheidung, weiche Birn,

gegen Neu- und Gürtelrose,

Angstgefühle in der Hose,

gegen Viren und Bazillen,

Säuglingsbrüllerei beim Stillen,

gegen Wallung, Brandeswunde,

gegen inn`re Schweinehunde,

gegen Ärger mit der Braut,

Nesselsucht, zu schlaffe Haut,

gegen Suchten aller Art,

Nachtblindheit und Damenbart,

hilft nur rasch und sicher dir

der Gerstensaft, das gute BIER!"