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Montag, 6. Juli 2015

Friede den Palästen !






Giurgiu – Slobozia – Vedea – Bujoru – Tiganesti – Alexandria – Buzescu. Buzescu! – Endlich habe ich dich gefunden!






Bei der bulgarisch-rumänischen Grenze Ruze-Giurgiu braucht es eine lange Brücke, um die sehr breite Donau zu überspannen. Dann fahren wir erst der Donau entlang und dann ins flache Land der Walachei hinein – Felder, Felder, Felder – nach Alexandria, denn dahinter könnte das Dorf liegen, das ich schon lange sehen möchte. – Die Strasse führt schnurgerade zum Eingangs-Kreisel, wo die Kirche steht. Der Hund schläft nicht – er ist frisch überfahren worden. Tote Hunde lässt man liegen.


Schon sind wir auf der Dorfhauptstrasse und staunen uns ein erstes Mal bis zu deren Ende durch. Ausgangs Dorf der zweite Kreisel. Drehen und nochmals zurück. Diesmal langsamer fahren und nochmals staunen. Wieder am ersten Kreisel, drumherum, und nochmals durch! Diesmal gestikuliert uns ein weissbärtiger Mann heran, weist sich als Gemeindepräsident aus und anerbietet sich, uns zu begleiten, falls wir ein paar Fotos machen möchten. Ohne ihn könne dies nämlich riskant sein. Riskant?

Hier mal die Bilder:








Er sei also der Gemeindepräsident und selber auch ein Rom, erzählt er uns bei sich zuhause im Garten. Mit seinem weissen, sauber geschnittenen Bart würde er auch als deutscher Rentner durchgehen, der gerade von der Costa del Sol zurück ist. Er habe Recht studiert und setze sich für die Integration der Roma ein. Was vor allem bei den Roma selber ziemlich schwierig sei. Zum Beispiel sie davon zu überzeugen, dass es für ein zwölfjähriges Mädchen besser sei, die Schule zu besuchen statt verheiratet zu werden. Die gesellschaftspolitische und soziale Situation der Zigeuner interessiert ihn über die rumänische Grenze hinaus, und man spürt aus seinen offenen Worten immer wieder heraus, dass für ihn die Knackpunkte mehr bei den Zigeunern selber liegen und an deren Bereitschaft, sich von festgefahrenen und ins Abseits führenden Traditionen zu verabschieden. Daher rede er mehr mit den Kindern als mit den Eltern.
Schon im 19. Jahrhundert hätten sich hier die ersten Roma Häuser gebaut. Heute bestehe das Dorf aus 300 Familien, aber es seien nie alle anwesend. Viele seien unterwegs in ganz Europa. Zur Zeit seien etwa 70 Familien hier, viele Paläste (er braucht dieses Wort) stünden leer, andere würden aus verschiedenen Gründen zerfallen oder gar nicht fertig gebaut.
Er betont nochmals, dass es ohne ihn kaum möglich ist, der Strasse entlang zu gehen und Fotos zu machen. Man würde von den Hauseigentümern ziemlich forsch vertrieben. Und ob wir noch etwas Geld spenden möchten, er kaufe oft Dinge für die bedürftigen Familien, die ausserhalb des Dorfes in Hütten und nicht in Palästen wohnen. – Wie viele doppelte Böden hat denn dieses Dorftheater?
Die Fakten, nüchtern und objektiv: Die reichen Zigeuner, die ihr Geld mit dem Altmetall-Handel und anderen Geschäften (ihrer Untertanen!) gemacht haben, liessen sich hier als Statussymbole die unmöglichsten und geschmacklosesten Paläste bauen. Eng nebeneinander geklotzt der Hauptstrasse entlang. Wirklich bewohnen tun sie sie auch dann nicht, wenn sie anwesend sind. Die meisten Räume sind leer. Es geht einzig darum, diesen vordergründigen Luxus zur Schau zu stellen. Es gebe hinter einigen Villen kleine Anbauten mit einer vielleicht gar gemütlichen Küche...
Wir schreiten zur Besichtigung. Der Gemeindepräsident führt uns zu einem bestimmten Palast. Davor steht ein gestylt angezogener junger Mann (weisses Hemd, Hose wahrscheinlich massgeschneidert, jedenfalls nicht billig), dem fast unterwürfig erklärt werden muss, dass wir ein paar Fotos machen möchten. Okay, grünes Licht. Aber bitte nicht zu lange. Hastig knipsen wir uns die Strasse runter. Bis wir sehr bald wieder zurückgerufen werden. Die Bewohner des untersten Hauses seien „rau“ (böse).
Welch mehrfach geschraubten Spagat vollbringt dieser Gemeindepräsident als Dorfchef, wenn er sich einerseits für Fortschritt und Offenheit einsetzt und andererseits vor den argwöhnischen wahren Chefs Bücklinge machen muss! Und welch mehrfach verknotete Hirnwindungen bringen die Dorfkönige dazu, ihren Reichtum auf plumpeste Art zur Schau zu stellen, aber gleichzeitig keine Betrachter zu dulden! Es gibt eine Erklärung: Erstens zeigt man mit dem Reichtum Macht, und zweitens zeigt man nochmals Macht, wenn man dessen Betrachtung verbietet. Eine opulente, hirnrissige und widerliche Inszenierung!