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Mittwoch, 4. März 2015

Mare!



So fängt es jeweils an, und so soll es auch sein: Autobahn.











Kilometer fressen. Nicht schnell, aber fressen. Fremdes Radio hören, nur selten, weil`s nervt. Bayern 3, Radio Niederösterreich, ein ungarischer Ich-mach-dich-glücklich-Schwafler. Die reden schneller als ich fahre. 90 km/h ist gut. So tönt das Schnurren des Motors am schönsten. Und im Rückspiegel sehe ich den Anhänger geduldig mitrollen. Das Rolling sweet home.

Es soll in den nächsten Monaten in verschiedene Länder rollen: Zunächst nach Rumänien und in die Türkei, dann in den Kaukasus nach Armenien und Georgien.

Bei Tag sehen die Landschaften entlang der Autobahn so aus, dass man nicht dort sein möchte. Die Rastplätze mit ihren Tankstellen und Tankstellenshops sehen alle gleich aus und auch so, dass man nicht da sein möchte. Der Empfangsstil, der eigentlich Abfertigung heisst. Besser gefällt es mir auf dem Lastwagenparkplatz. Hier geht es nicht um den Unsinn der Ferntransporte, sondern um die heutige Form der Karawanenrast. Die meisten Trucks schlafen, wenige Chauffeure schlurfen um ihre Vehikel, reden kaum, füllen ihre Pet-Flaschen auf und pinkeln an die öligen Randsteine. Es riecht nach Kamelmist.

In der Nacht ist man beim Fahren allein. Schön, dass die Heizung an ist. Du passest die Scheibenwischertätigkeit dem Regen an. Auf der Konsole steht eine Thermosflasche mit heissem Kaffee. Vielleicht findet sich doch etwas auf einem Radiosender. Eine Stunde amerikanische 50-er Jahre Musik.

Am späten Morgen erwache ich. Die Trucks sind weg. Der Regen auch. Ein starker Wind lässt die Reklamefahnen flattern. Ein paar Ratten getrauen sich an die Mülltonnen heran. Kaffee und Aufbruch. 


Szenenwechsel nach der Autobahn: Eine schlechte Strasse führt durch trostlose Dörfer zur rumänischen Grenze. Grosse Kinder tragen kleine einige Häuser weiter. Frauen schaukeln ihre Einkaufstaschen an Fahrrädern nach Hause. Männer stehen vor düsteren Kneipen, die als solche erkennbar sind durch abgeprickelte Bierwerbung und herumstehende Harassen. Gummistiefel stapfen den Pfützen am Strassenrand entlang.

Nach der Grenze ändert sich etwas: Hunde! Die berühmten rumänischen Strassenhunde. Sie haben sich wie Schlangen, Kröten und andere Tiere der Umgebung farblich angepasst. Sie sind grau und braun.

In Satu Mare, einem hübschen Städtchen am Meer… Nein, „mare“ heisst nicht „Meer“, sondern „gross“. In dieser Grenzstadt finde ich, im Dunkeln bereits, ein nettes Übernachtungsplätzchen hinter einer Tankstelle. All inclusive mit Hund. Caine mare = grosser Hund.

Am nächsten Tag wieder "Mare": Baia Mare. 





 Hier treffe ich die Zirkusfamilie des letzten Jahres. Sie haben den Winter auf einem Wiesen- bzw. Dreckplatz verbracht. Die Räder der Fahrzeuge sind im Boden versoffen, aber bald beginnt die Saison, und ein Traktor wird sie alle herausholen. Alle, die noch dabei sind. Das sind die vollständige Eigentümer- und Direktionsetage und der Americano, das Findelkind mit der traurigen Kindheitsgeschichte, der letztes Jahr oft zu mir in den Wohnwagen kam und sich mit Kaffee, Bier und Zigaretten aufpäppeln liess. Er hat jetzt einen Kollegen des gleichen Kalibers, ein herziger Bursche mit ähnlicher rumänischer Kinderheimvergangenheit. Der Bestand der Tiere hat sich vergrössert, denn trotz des Todes eines der sieben Löwen sorgen etwa zehn junge Hunde und eine Schar Hühner (in einem Lieferwagen untergebracht) für eine positive Bilanz. Die Hühner seien eigentlich als Frass für die Löwen gekauft worden, doch als das Geld ausging, hat man sie zu Legehennen umdressiert. Und die Hunde? Die Rumänen sind zwar Hundeliebhaber, aber sie lieben sie nicht im Kochtopf. Auch für deren Eier zwecks Kastration interessieren sie sich nicht wirklich. Die, die dafür angestellt sind, wollen ihre Arbeit nicht allzu eifrig tun, denn sonst würden sie ja längerfristig ihren eigenen Job abschaffen.

Ich bin angekommen im Land, das weder Himmel noch Hölle ist, sondern die Sackgasse, die zu beiden (nicht) führt.